Reaktionsmomente
Um ein Verständnis für die Hauptfunktion eines Reaktionsarmes aufzubringen, braucht man nicht vom Fach zu sein. Es geht einfach nur darum, die auftretenden Drehmomente abzufangen. Wenn eine Drehbewegung der Spindel im Uhrzeigersinn erfolgt, vollzieht das Werkzeug eine Drehung in Gegenrichtung. Dies kann an einem einfachen Beispiel aus dem täglichem Leben verdeutlicht werden.
Kommt eine Bohrmaschine für eine Wandbohrung zum Einsatz, so entsteht zwischen der werkenden Person, dem Boden und der Wand ein geschlossener Kreis.
Werker – Boden – Wand – Boden – Werker
Dadurch, dass die entstehenden Kräfte durch den menschlichen Widerstand ausgeglichen werden, wird vermieden, dass sich das Werkzeug um die Schraube dreht.
Bei der industriellen Montage erreichen die Drehmomente oft mehrere hundert Newton pro Meter. Bei manchen Applikationen sogar mehrere tausend. Ein Mensch ist nicht fähig, solche Kräfte zu halten. Außerdem stellen sie eine Gefahr für den Werker, die Maschine und das Bauteil dar.
Folgende Aufgaben sind also zu lösen:
- optimierte Ergonomie
- Sicherheit (Schutz der Werker von zu hohen Drehmomenten)
- Aufnahme von Drehmomenten bei Abwesenheit des Werkers
- Schutz des Bauteils
- usw.
Nun besteht die Möglichkeit, bei der Schraubmontage auf die Anwendung eines Gegenhalters zurückzugreifen. Die Bereiche, in denen ein Gegenhalter zum Einsatz kommen kann, sind sehr vielseitig. Innerhalb der Thematik sind im Bereich der Schraubtechnik nicht nur Handschrauber betroffen,
sondern vor allem auch Schraubapplikationen mit Einbauspindeln.
Montage mit Ein-Kanal-Schrauber
Bei der Montage mit einem Ein-Kanal-Schrauber (ähnlich unserem Beispiel mit der Wand) müssen die Reaktions-momente entweder durch einen Reaktionsarm/Gegenhalter oder durch eine evtl. vorhandene Teleskopvorrichtung, einen Tragarm oder ähnliches abgefangen werden. Kommen zwei Spindeln zum Einsatz ändert sich die Situation grundlegend.
Montage mit Zwei-Kanal-Schrauber
Da bei einem Zwei-Kanal-Schrauber die Abtriebe schon gegenseitig als Reaktionsarme funktionieren, wird bei Verwendung zweier Spindeln die Funktion des Gegenhalters von der zweiten Spindel übernommen. Nichtsdestotrotz sollte in bestimmten Fällen ein Gegenhalter zur Anwendung kommen. Anhand eines Beispiels lassen sich Gründe dafür gut verdeutlichen. Wenn es bei einer Verschraubung mit einem Zwei-Kanal-Schrauber, dessen Drehmomente je 300 Nm pro Schraubspindel betragen, zu einem Versagen von einem der beiden Schraubschlüssel käme, fiele zugleich auch der Reaktionsarm der Schraubapplikation aus. In einem solchen Fall kann ein zusätzlicher Reaktionsarm schwere Verletzungen bei Menschen und große Schäden an der Maschine vermeiden, die durch die freigewordenen Kräfte ausgelöst werden können.
Montage mit Mehr-Kanal-Schrauber
Bei der gleichzeitigen Verschraubung mit mehreren Spindeln ist die in den zwei oberen Fällen beschriebene Problematik nicht mehr gegeben. Da ein gleichzeitiger Abbruch von mehreren Steckschlüsseln sehr unwahrscheinlich ist, wäre die Sicherheit im Fall des Abbruchs von einem Steckschlüssel problemlos gewährleistet.
Anders sieht es mit dem Schutz für das teure Bauteil aus. Hier spielt das Schraubbild die Hauptrolle. Die rechteckig angeordneten Schraubstellen unterscheiden sich grundlegend von anderen Mustern. Sind die Schrauben z. B. in Form eines Kreises angeordnet, erfolgt die Belastung gleichmäßig. Im Rechteck kommen andere Faktoren ins Spiel. In Bezug auf die Unterschiede zwischen kreisförmigen oder dreieckigen Schraubmustern und einem rechteckigen kann man im übertragenen Sinne sagen: Ein Stuhl braucht vier Beine, um wackeln zu können. Ein dreibeiniger Stuhl wackelt nicht.
Folgendes ist dabei zu beachten:
Ein Schraubsystem ist ein „System der Bewegung“. Damit die Schrauben angezogen werden können, braucht dieses System Spielraum. Schauen wir genauer auf eine rechteckige Schraubstelle, wie zum Beispiel bei einer Motorverschraubung:
Man kann sich vorstellen, dass sich unser System als Ganzes um einen Rotationsmittelpunkt dreht.
Da in diesem Punkt ein Kräftegleichgewicht herrscht, handelt es sich gleichzeitig um einen Minimum-Energie-Punkt. Von diesem Punkt aus betrachtet ist der Strahlensatz anzuwenden.
Fasst man die Kräfteverteilung bei einer der Schraubreihen ins Auge, so kann mittels Strahlensatz festgestellt werden, dass die äußeren Schrauben einer stärkeren Belastung ausgesetzt sind als die mittig angeordneten. Denn die Abstände der Schrauben zum Rotationsmittelpunkt werden immer größer. Je weiter die Punkte vom Rotationspunkt entfernt liegen, desto schneller brauchen sie den Spielraum auf. Die Summe der Momente stützt sich also an den äußeren Schrauben ab. Hier kann es leicht zum Versagen des Steckschlüssels oder der Spindel kommen. Auch das Bauteil kann dadurch erheblichen Schaden nehmen.
Volker Thierjung
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